Auf die Milonga könnt ihr sehr gut allein gehen, ihr braucht keinen festen Tanzpartner oder Tanzpartnerin.
Damit kommen wir nun zu dem nächsten wichtigen Punkt. Das Auffordern, und alle damit verbundenen zwischenmenschlichen Themen, spielen bei Tango eine große Rolle. Ich versuche euch hier einen kleinen Überblick zu geben. Einerseits ist das verbale „der Herr fragt die Dame“-Auffordern aus Gender-politischer Sicht keine zufriedenstellende Option in heutigen Zeiten, genauso wie andererseits das verbale Auffordern an sich – egal von wem es ausgeht – häufig sehr frontal sein kann und eine unangenehme Situation hervorrufen kann. In Argentinien wurde das durch den sogenannten „Cabeceo“ – zu Deutsch Kopfnicken“ – gelöst. Hierbei wird versucht Blickkontakt zum zukünftigen Tanzpartner bzw. Tanzpartnerin herzustellen und diesen dann mit einem Lächeln und/oder Kopfnicken zu „bestätigen“. Dies ist eine sehr subtile und effektive Möglichkeit – solange die Balance zwischen Aufmerksamkeit, denn diese ist hier sehr gefragt, und aufdringlichem Anstarren gewahrt wird. Hier in Berlin findet meist eine bunte Mischung aus allen Formen des Aufforderns statt. Wichtig ist es zu versuchen, mit Feingefühl in die Situation zu gehen. Und wenn ich verbal fragen, sollte ich auch mit einer verbalen Antwort leben können. Außerdem ist es stets wichtig, zu beachten, was unsere Körpersprache nach außen hin signalisiert. Davon wird es stark abhängen, wieviel ihr auf einer Milonga tanzen werdet.
Ebenfalls ein wichtiger Punkt dabei ist, wo wir uns im Raum befinden. Hier in Berlin gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, meist keine festen Tische und Sitzplätze in der Milonga. Das bedeutet, dass man sich normalerweise auf den nächstbesten freien Stuhl setzt, wenn man sich hinsetzen möchte – und auch, dass dieser wieder frei ist, wenn man aufsteht. Wenn ihr also aufsteht, um zu tanzen, und danach wiederkommt, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Platz, den ihr euern wähntet, nun belegt ist. Wenn jemand auf einem Stuhl neben dem von euch ausgesuchten zukünftigen Sitzplatz sitzt, ist es eine angenehme Aufmerksamkeit kurz zu fragen, ob dieser noch frei ist. Und manchmal kann sich daraus auch ein nettes Gespräch und eine neue Bekanntschaft entwickeln. Versucht die Plätze zu eurem Vorteil zu nutzen. In bestimmten Ecken des Raumes stehen eure Chancen zum Tanzen zu kommen häufig nicht besonders hoch. Dann hilft zum Beispiel ein Gang zur Toilette und sich auf dem Rückweg wieder neu zu orientieren. Und das Ganze am besten rechtzeitig, bevor eure Laune bergab geht. Versucht euch aktiv in die Dynamik einzubringen, wenn ihr Tanzen möchtet.
Vor der Milonga kommt wohl immer noch die Frage „Was ziehe ich an!?“ auf. In Berlin könnt ihr das je nach Stimmung und Geschmack auch sehr frei entscheiden. Zur Kleidung gibt es auch noch ein extra Kapitel! Was allerdings wichtig ist, ist sie sauber und frisch ist. Da die Milongas hier häufig sehr warm sind und eine hohe Luftfeuchtigkeit haben, kommt man schnell ins Schwitzen. Da gibt nur ein Kleidungswechsel Abhilfe. Ein Freund von mir hatte sich auf einer Milonga ganze fünfmal ein frisches Hemd angezogen! Das ist auf jeden Fall eine sehr zuvorkommende Aufmerksamkeit.
Frisurentechnisch ist es wichtig, die Haare auf der rechten Seite zu bändigen und ggf. zurückzustecken. Diese kleben sonst gerne im Gesicht des Partners oder der Partnerin.
Wenn ihr eine Brille tragt, empfehle ich euch diese zumindest dann abzusetzen, wenn ihr mit jemanden ähnlicher Größe tanzt – durch die leichte Vorwärtshaltung des Kopfes kann es hier sonst zu unangenehmen und sogar gefährlichen Zusammenstößen kommen. Habt ihr einen klaren Größenunterschied ist das natürlich kein Problem mehr.
Ganz wichtig: vor der Milonga Zähneputzen! Und wenn das nicht möglich ist oder wir zwischendurch noch etwas essen, helfen Kaugummis weiter. Diese sollten dann vor dem Tanzen dezent herausgenommen werden. Kaugummikauen auf der Tanzfläche ist – besonders in enger Tanzhaltung – nicht jedermanns Sache…
Wenn wir noch nie auf einer Milonga waren, fragen wir uns bestimmt: Wann bin ich bereit auf meine erste Milonga zu gehen? Nun, wir müssen kein riesengroßes Figurenrepertoire im Ärmel haben, das wichtigste ist es, den Tanzfluss zu beherrschen. Und das ist gar nicht so einfach und erfordert auch Übung in der Praxis. Die Tanzrichtung beim Tango ist stets gegen den Uhrzeigersinn gerichtet, ausfallende Bewegungen (zum Beispiel Rückwärtsschritte) gegen diese sollten vermieden werden. Meistens gibt es zwei Spuren, die außen an der Tanzfläche herumführen. Ähnlich wie beim Autofahren gilt: Vorsicht beim Einstieg (habt hier die bereits tanzenden Paare im Blick, diese haben Vorrang), Überholen und plötzliches Bremsen möglichst vermeiden und Achtung beim Spurenwechsel. Die Mitte der Tanzfläche folgt meist ihrer eigenen Dynamik, entweder aus Anfängerpaaren oder anderen, die sich nicht in den äußeren Tanzfluss einreihen möchten.
Ein kleiner Tipp: Passt auf, wenn ihr die Tanzfläche „nicht tanzend“ überqueren möchtet. Einfach so darauf loszugehen kommt meist gar nicht gut an. Entweder ihr geht vorsichtig mit den tanzenden Paaren mit oder ihr wartet auf die nächste Cortina!
Auf eure erste Milonga könnt ihr natürlich auch schon vorher gehen, ohne gleich tanzen zu müssen und euch anschauen, was euch hier erwartet. Bei einem Glas Wein könnt ihr bereits erste „Milongaluft“ schnuppern, vielleicht findet ihr auch eine Veranstaltung mit einer Show und/oder Livemusik. So habt ihr einen viel besseren Eindruck, was euch beim Tango erwartet!
Zum Abschluss noch ein wichtiger Punkt: Die Milonga ist dazu da, dass Tanzen zu genießen. Wenn ihr üben möchtet, dann ist eine sogenannte „Praktika“ besser dazu geeignet. Wenn es zum Beispiel am Anfang noch nicht so voll ist, kann man natürlich auch etwas Neues ausprobieren, solange der Partner bzw. die Partnerin damit einverstanden ist. Hier ist euer Fingerspitzengefühl gefragt. Auf jeden Fall sollte der andere auf der Milonga nicht „unterrichtet“ werden. Und falls euch das passiert und ihr euch unwohl fühlt, müsst ihr das definitiv nicht aussitzen bzw. austanzen.
Die Milonga spielt mit dem „Sehen und gesehen werden“. Auf der einen Seite gibt es das völlige Vergessen der Welt um einen herum während des Tanzes. Auf der anderen Seite wird häufig geschaut wie und mit wem jemand gerade tanzt, wenn man selbst es gerade nicht tut; auch um zum Beispiel zu schauen, wer für die nächste Tanda in Frage kommt und um Tänzer und Tänzerinnen, die man noch nicht kennt, etwas besser einzuschätzen. Das führt zwangsläufig zu einem Balanceakt. Denn wenn jemand nur „nach außen“ beeindrucken möchte und sich dabei wenig um seinen Partner/ seine Partnerin kümmert, sammelt man definitiv nicht allzu viele Pluspunkte.
Wenn ihr regelmäßiger auf die Milongas geht, werdet ihr merken, dass jeder Ort und jede Milonga unterschiedlich ist, sie aber trotzdem etwas Verbindendes haben. Und es gibt sie auf der ganzen Welt! Ich hoffe, dass ihr so wie ich, viele neue Bekanntschaften und auch Freundschaften in den unterschiedlichsten Städten und Ländern der Welt in den Milongas finden könnt!
Ich wünsche euch viel Spaß und viele schöne Tangos!